Konflikt
Die genannten Fallbeispiele wurden in Übereinstimmung mit den Klienten verkürzt und so verändert, dass die Identität und die Vertraulichkeit der Anliegen geschützt bleiben:
Simon von S. (Abteilungsleiter, 42 Jahre)
Internationales Telekommunikationsunternehmen
Im Vorgespräch mit meinem Klienten brachte ich in Erfahrung, dass Herr von S. sich Unterstützung bei einer kleinen Auseinandersetzung unter Kollegen wünscht. Er formuliert sein Anliegen folgendermaßen:
„Irgendwie brauche ich Hilfe aus diesem Schlamassel herauszukommen. Mein Kollege und ich sind hierarchisch gleichgestellt und leiten gemeinsam eine internationale Projektgruppe mit 15 Teilnehmern. Leider kommt es zwischen uns beiden oft zu Diskussionen, die meist durch sachliche Belange ausgelöst, aber dann auf persönlicher Ebene geführt werden. Der Projektverlauf verzögert sich dadurch und unsere Glaubwürdigkeit dem Team gegenüber ist geschwächt. Klärende Gespräche haben bisher nichts gebracht, außer beiderseitige Vorwürfe.“
Bei seiner Ankunft wirkt der Klient souverän und selbstbewusst. Er signalisiert mit vielen Fragen und einer intensiven Gesprächsführung, dass er gerne die Fäden in der Hand hält. Ich fordere ihn dazu auf, sein Anliegen noch einmal zu benennen und auf dem Flipchart zu notieren:
Weiter bitte ich ihn unter Berücksichtigung seiner Werte, alle an seinem Anliegen beteiligten Personen und Abläufe mit Hilfe von Moderationskarten auf dem Konferenztisch zu legen.
Er kommentiert jede einzelne Karte und legt sie auf. Ich möchte wissen, ob es einen Grund gibt, dass die Karte mit seinem Namen größer ist, als die des betreffenden Kollegen. Er antwortet darauf: „Logo, der ist ja noch nicht so lange dabei und sein Wort ist nicht so gewichtig in der Firma.“ Ich frage nach, ob er denn ein Organigramm seines Unternehmens mitgebracht hat, Herr von S. legt es vor und erklärt es mir bereitwillig. Auf Unternehmensebene sind er und der betreffende Kollege gleichgestellt und haben laut Stellenbeschreibung verschiedene Verantwortlichkeiten.
Auf die Frage nach Überschneidungen der Tätigkeitsbereiche winkt Herr von S. ab; lediglich das Projekt werde gemeinsam durchgeführt. Er erklärt die Zusammenhänge der einzelnen Personen auf den Karten und erläutert die Verbindungen zu ihm. Auf die Frage nach weiteren Personengruppen, die in Kontakt zu seinem Projekt stehen, wie z.B. Lieferanten, Familie etc., kommen noch einige Karten hinzu.
Anschließend guckt der Klient noch einmal auf seine Situation und sagt: „Gott, kostet mich das Kraft. Oft habe ich abends zu nichts mehr Lust und liege meiner Frau nur noch mit meinen Projektthemen in den Ohren.“ Ich höre zu, mache mir Notizen und möchte von ihm wissen, welche Bedeutung der Ausdruck ‚erfolgreiches Projekt‘ in seinem Anliegen für ihn hat.
Dazu äußere ich den Wunsch, er möge die einzelnen Punkte nach deren Wichtigkeit skalieren (1 ist unwichtig, 10 ist sehr wichtig). Er geht zum Flipchart und schreibt auf:
Ich will außerdem von Herrn von S. wissen, wann aus seiner Sicht diese Situation mit seinem Kollegen begonnen hat und ob es dafür einen Auslöser gab. Er denkt nach aber kommt zu keinem Ergebnis. Ich biete ihm eine Grafik mit Konfliktstufen an und bitte ihn, mir seine Position zu nennen:
Phasen eines Konflikts:
„Hmm, wir stehen wohl zwischen 4 und 5, jeder versucht andere Teilnehmer der Gruppe auf seine Seite zu ziehen, um seine Position zu stärken. Und der andere verliert dabei sein Gesicht.“ Ich will wissen, wer ‚jeder‘ ist, er selbst oder sein Kollege.
Seine Körpersprache signalisiert Aufregung: „der natürlich:“ Nachdem wir genau hinterfragen, wer einen Vorteil aus diesem Konflikt hat und ob mein Klient die Situation überhaupt ändern möchte, vergeht einige Zeit.
Wir klären anschließend, welches Konfliktlösungsverhalten mein Klient in vergleichbaren Situationen hatte. Als Reflexionshilfe biete ich ihm folgende Begriffe an:
Konsens
Kompromiss
Delegation an dritte Instanz
Unterordnung
Erstarren
Kampf
Flucht
„Ich muss immer kämpfen, um zu gewinnen“, so sein Statement. „Einmal habe ich nicht gekämpft und dann hat ein anderer die Lorbeeren bekommen, das ärgert mich heute noch.“
Ich frage nach, ob das auch diesmal die richtige Lösung für ihn ist und er reflektiert. „Nein, ich glaube nicht, denn ich brauche sein Know-How und das stinkt mir gewaltig.“ Spannend!
Ich schlage ihm einen Wahrnehmungspositionswechsel vor, indem er sich in die Lage seines Kollegen versetzen soll, er stimmt zu. Wir stellen zwei Stühle gegenüber voneinander auf. Herr von S. verbalisiert seine eigenen Argumente auf dem einen Stuhl und auf dem anderen die des Kollegen. Im Anschluss bitte ich ihn aufzustehen, im Raum umherzugehen und die Position des neutralen Ratgebers einzunehmen:
„Beide haben in ihrem Gespräch geäußert, wie wichtig Ihnen die Ergebnisqualität des Projektes ist. Ich würde den beiden raten, sich auf diese Gemeinsamkeit zu einigen und persönliche Belange zu Gunsten des Projekts hintenanzustellen. In der Diskussion zeigte sich auch, dass die beiden trotz ihrer Verschiedenheit Respekt vor der Leistung des anderen haben, das könnte auch eine Basis für die vorübergehende Zusammenarbeit sein.“ Ich frage meinen Klienten, ob er sich diese Gedanken als Lösungsansatz notieren möchte, was er gerne aufgreift.
Im Anschluss konfrontiere ich meinen Klienten mit der Wahrnehmung, dass er Respekt als einen Wert im Umgang mit anderen definiert hat, mir aber auffällt, dass er über seinem Kollegen immer mit „der“, „der andere“, „der Angeber“, „die Nervensäge ist Schuld“ spricht. „Wie klingt das für Sie?“ frage ich Herrn von S.
„Das ist mein Ventil, darüber werde ich meine Wut los.“ Die Wut worauf, will ich wissen. „Dass der mir meine Stellung im Unternehmen streitig macht“, kommt wie aus der Pistole geschossen. Mein Klient sitzt da und ist verwirrt: „Ich dachte immer, es läge an der Einstellung und am Verhalten meines Kollegen, dass es mit uns beiden nicht klappt. Scheinbar liegt es an meiner Verlustangst, da werde ich wohl an mir arbeiten müssen“. Er steht auf und beginnt zu schreiben:
Ich bitte Herrn von S. seinen Maßnahmenplan mit konkreten und machbaren zeitlichen Limits zu versehen. Für die nächste Sitzung avisiere ich, dass wir über die einzelnen Schritte und deren Wirkung sprechen werden. Wir beenden die erste Sitzung und der Klient verlässt gut gelaunt das Coaching-Loft. Am Freitag der Folgewoche erhalte ich ein Email: „Liebe Frau Rose, schon das größere Bewusstsein für mein Verhalten und die offenere Kommunikation meinem Kollegen gegenüber hat Wunder bewirkt! Vielen Dank, dass Sie mich so gnadenlos auseinander genommen haben. Ich freue mich auf die nächste Session, Ihr Simon von S.“